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Wie Kinder "verkauft" werden

 

Ein Beitrag von Michaela Huber

 

Es gibt einen Markt, auch für die schrecklichsten Dinge. Es gibt einen Markt für Menschen, die quälen wollen. Dort kann man sich Kinder und Frauen und andere Opfer einfach bestellen, via Internet frei Haus, wie eine Pizza.

Oder man loggt sich mit Password in eine Newsgroup ein, bei der man als "Individualist" eine "örtliche Ritualgruppe" erfahren kann. Dort kann man dann persönlich hinfahren. Man trifft sich dort im Geheimen, zu logenartigen Inszenierungen. Man verkleidet sich, anonymisiert sich dadurch. Man betritt einen bizarren Raum voller Schwärze und Flackerlicht, man nimmt teil an einem seltsamen Ritual, das nur ein Ziel hat: Ein Tier, später einen Menschen zu quälen, sie vielleicht "bis zum Ende" zu quälen.

"Tu was du willst soll sein das einzige Gesetz!" heißt es. Und das bedeutet nicht: Tue Gutes. Sondern es heißt: Lebe deine grausamsten Gewaltfantasien aus. Hier. Jetzt. Wir zeigen dir, wie’s geht. Und wir werden die "Reste" schon entsorgen…

Entweder in Privaträumen oder in vorübergehend eingenommenen öffentlichen Räumen finden solche Ungeheuerlichkeiten statt. In Deutschland, in Österreich, in der Schweiz, in den meisten westlichen Industrieländern, vermutlich weltweit.

Weil es einen Markt gibt. Weil es Menschen gibt, die gerne quälen, die bereit sind, Geld dafür auszugeben. Vielleicht sogar viel Geld.

Wer sind die Gequälten, wer sind diejenigen, die solche Quälereien überleben - nur um wieder und wieder gefoltert und vergewaltigt zu werden? Die andere Lebewesen sterben sehen und immer denken: Jetzt bin ich dran?

Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts, Frauen, und Menschen, nach denen niemand fragt, etwa Obdachlose. Man "besorgt" die menschliche Ware oft über den internationalen Markt der Menschenhändler. Aus Osteuropa, Asien, Afrika, Lateinamerika. Und aus unserem Land. Bei uns nimmt man besonders häufig Kinder, die schon gequält wurden. Man bietet dem "Erstquäler", etwa Vater oder Mutter, an, dabei zu sein. Oder sie sind es längst, gehören der "Geheim-Gruppe" an und haben gelernt: "Ein Kind gehört 'ihnen', die anderen dürfen wir behalten."

Wie halten die Gequälten das aus? Indem sie dissoziieren. Sie werden häufig früh darauf trainiert – mit sehr viel Grausamkeit, Isolationsfolter und sexualisierter Gewalt trainiert – sich aufzuteilen. Wenn es unaushaltbar ist, "kippen sie weg".

Der "Ausbilder" merkt das und wird diesen Zeitpunkt gezielt ansteuern, wird dann in den "Leerezustand" hineinsprechen: "Gleich wird der Schmerz aufhören, und dann wirst du die Augen aufmachen. Und das Kind, das die Augen aufmacht, wird … (Name) heißen. Und … wird alles tun, was ich sage." Ganz einfach. Diesen Zuständen, die dann Namen haben, und die nur Dankbarkeit dafür kennen, dass sie aus dem Schmerz herauskommen, werden Aufgaben zugewiesen, die sie zu erfüllen haben. Daher sind diese Kinder gehorsam. Sie teilen sich immer auf, wenn es unaushaltbar ist. Und sie tun, was man ihnen sagt. Wieder und wieder werden sie gequält, die meisten viele Jahre lang. Sie werden gezwungen, andere für Misshandlungen auszusuchen und sie wiederum zu quälen. Sie werden gezwungen, ihre eigenen Kinder (oder mindestens eins) "ihnen" zu geben.

Der Markt nimmt dank der Pornografisierung unserer Gesellschaft und des Internets globale Ausmaße an. Also werden die Kinder weitergereicht, an andere Tätergruppen, nicht selten auch in andere Länder. Es werden Filme von den Grausamkeiten gedreht und vermarktet. Es ist ein riesiges Geschäft.

Als HelferInnen und Verbündete (PsychotherapeutInnen, SeelsorgerInnen, ÄrztInnen, ErzieherInnen, LehrerInnen, PartnerInnen, FreundInnen…) erfahren wir langsam, stockend und immer nur zögernd etwas von den Überlebenden.

Man hat ihnen ein "absolutes Schweigegebot" eingefoltert, das viele nur um den Preis brechen können, dass sie sich selbst verletzen oder anfangs sehr allgemeine Angaben machen. Viele brauchen Jahre, bis sie "auspacken".

Die Täter haben ihnen erzählt: Sie kämen für das, was sie getan haben (an den Quälereien teilnehmen) ins Gefängnis. Und überhaupt: Sie seien böse, schlecht, Müll, und niemand werde ihnen glauben. Häufig sind die Überlebenden auch so dissoziativ, dass sie in ihrem Alltags-Ich nicht einmal wissen, wie sehr sie noch immer in einer Parallelwelt leben, weiterhin abgeholt und gequält werden. Wir sehen ihre körperlichen und seelischen Verletzungen, und oft sind wir hilflos, während die Täter sich sicher fühlen, nicht angezeigt zu werden (die Anzeigequote bei ritueller Gewalt ist noch sehr viel geringer als bei anderen - sexualisierten - Gewaltformen).

Überlebende, die aussteigen wollen aus dem Zirkel der Gewalt, erhalten fast keine adäquate Unterstützung. Es fehlen Fluchtwohnungen, es fehlt eine 24-Stunden-Betreuung über einen längeren Zeitraum. Denn viele Überlebende sind so dissoziativ, dass es Monate, manchmal sogar Jahre braucht, bis alle Teilpersönlichkeiten am Ausstieg mitwirken. Es fehlen ambulant und stationär qualifizierte Einrichtungen, denn diejenigen, die sich auskennen, sind hoffnungslos überfüllt. Es fehlt angemessene polizeiliche und  juristische Unterstützung.

Es fehlt eigentlich an fast allem.

Erstaunlich, dass dennoch immer wieder etliche den Ausstieg schaffen, wenn auch mit unendlichen Mühen – und nur, wenn sie Menschen finden, die ihnen dabei helfen.

Die Emanuelstiftung ist wichtig. Sie hilft. Sie informiert. Sie ist eine Lobby für die Gequälten. Und für die HelferInnen. Bitte unterstützen Sie sie.

Ich werde es auch tun.


Michaela Huber

 

Michaela Huber ist Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumabehandlung. http://www.michaela-huber.com

Sie ist seit ihrer Gründung 1. Vorsitzende der deutschsprachigen Fachgesellschaft für dissoziative Störungen, die 2012 umbenannt wurde in "Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation". http://www.dgtd.de

Michaela Huber ist Autorin zahlreicher Fachartikel und Bücher zum Thema Psychotraumatologie, erschienen im Junfermann-Verlag. http://www.junfermann.de   
Für ihre langjährige, engagierte Arbeit zugunsten von schwer traumatisierten Menschen wurde sie 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.